Klagen über Telefon-Abzocke nehmen zu

Bonn – «Können Sie mich hören», fragt der unbekannte Anrufer.

Wer darauf am Telefon mit «Ja» antwortet, könnte kurze Zeit später

einen Handy-Vertrag oder ein Zeitungsabo ins Haus geschickt bekommen.

Denn Schwarze Schafe der Branche schneiden das «Ja» aus dem Gespräch

heraus und stellen es als Zustimmung für einen Kaufvertrag dar. Klagen über belästigende oder sogar illegale Werbeanrufe wie in

diesem Fall, von dem die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen

berichtet, nehmen bundesweit immer mehr zu.

Im ersten Quartal 2017 registrierte die Bundesnetzagentur mit fast

4200 schriftlichen Beschwerden pro Monat annähernd eine Verdopplung

im Vergleich zum Vorjahr. Die Behörde fordert mehr Befugnisse für die

Verbraucher und eine Dokumentationspflicht für die Arbeit der Call

Center. Der Dialogmarketingverband DDV lehnt eine

Dokumentationspflicht ab und verweist auf den freiwilligen Kodex der

Branche zum Schutz gegen illegale Praktiken und Belästigung von

Kunden.

Schon im vergangenen Jahr war die Zahl der Beschwerden bei der

Aufsichtsbehörde wegen unerlaubter Werbeanrufe von 24 500 auf mehr

als 29 000 hochgeschnellt. Die Höhe der Bußgelder verdoppelte sich

annähernd auf 900 000 Euro. Im laufenden Jahr wüchsen die

Beschwerdezahlen weiter deutlich, sagt die zuständige

Referatsleiterin der Bundesnetzagentur, Judith Herchenbach-Canarius.

Proteste gibt es immer wieder wegen des hartnäckigen und aggressiven

Tons mancher Anrufer. So wurde im vergangenen Jahr eine Firma für

Tiernahrung mit 150 000 Euro Bußgeld belegt, weil sie ohne Zustimmung

der Verbraucher und einschüchternd am Telefon getrommelt hatte. Sogar

Nicht-Hundehalter wurden genötigt, Futter zu kaufen. Betroffene

sprachen von «Telefon-Terror».

Eine vorherige Einwilligung des Verbrauchers zu dem Werbeanruf ist

zwingend notwendig. Sie kann auch nicht zu Beginn des Telefonats

nachträglich eingeholt werden. Um das zu umgehen, legten werbende

Firmen häufig angebliche Einwilligungsdokumentationen vor, in denen

Geburtsdatum und E-Mail-Adresse frei erfunden sind, teilt die

Bundesnetzagentur mit.

In einem anderen Fall erhielten Nutzer massenhaft SMS mit erotischem

Inhalt auf ihr Handy – in mindestens einem Fall war unter den

Empfängern ein Grundschulkind – und teure 0900er-Nummern für einen

Rückruf. Die Bundesnetzagentur schaltete die Nummern ab und verbot

dem Anbieter, die mit den Rückrufnummern angefallenen Telefongebühren

einzukassieren.

In diesem Fall konnte die Aufsichtsbehörde schlagkräftig reagieren,

häufig gibt es aber auch Probleme. Vielfach unterdrücken Werbefirmen

nämlich ihre Rufnummer oder lassen durch technische Tricks ganz

andere Nummern im Display des Verbrauchers erscheinen. Solche

unterdrückten oder «aufgesetzten» Nummern sind zwar bei Werbeanrufen

ebenfalls verboten, lassen sich aber oft nicht nachweisen, weil der

Zugriff auf die Verbindungsdaten gesetzlich geschützt ist. Die

Behörden sind dann auf möglichst genaue Angaben der Verbraucher

angewiesen, wer sie wann angerufen und für welches Produkt geworben

hat.

Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg fordern in

Bundesratsinitiativen, dass Verträge nur noch dann gültig sein

sollen, wenn der Käufer das Geschäft nach dem Telefonat noch einmal

schriftlich bestätigt. Ähnliche Einschränkungen wurden bereits für

Glücksspielangebote übers Telefon eingeführt. Danach gingen diese

Angebote massiv zurück.

Eine solche Lösung mindere die wirtschaftlichen Anreize unerwünschter

Telefonwerbung erheblich, heißt es in einer Stellungnahme der

Bundesnetzagentur. Mit nachträglich verhängten Bußgeldern von bis zu

300 000 Euro bei nachgewiesenen Verstößen werde dagegen immer nur die

Spitze des Eisberges erreicht.

Über die mögliche Rechtsänderung wird vor der Bundestagswahl

voraussichtlich nicht mehr entschieden, aber der Branchenverband

protestiert lebhaft: Die Gesetzesverschärfung von 2013 zeige doch

bereits Wirkung. Weitere Rechtsverschärfungen seien ein «Irrweg» und

entzögen dem seriös und redlich betriebenen Telefonmarketing

wirtschaftlich den Boden, sagt ein Sprecher. Immerhin beschäftige die

Branche alles in allem um die 500 000 Menschen und wachse weiter.

Außerdem hätten Kunden ein 14-tägiges Widerrufsrecht, das in der

Praxis sehr gut funktioniere und wahrgenommen werde, sagt

DDV-Präsident Patrick Tapp.

Besonders auf die Palme bringt viele Verbraucher die Praxis von

Call-Centern, mit Anrufautomaten möglichst viele Verbraucher in

kurzer Zeit zu kontaktieren. Die Software wählt dabei nach zuvor

festgelegten Kriterien zahlreiche Rufnummern gleichzeitig an –

oftmals, während sich der Call-Center-Mitarbeiter noch in einem

anderen Gespräch befindet. Wer ans Telefon geht, hat dann vielfach

niemanden an der Leitung.

210 Anrufe in nur fünf Tagen meldete in einem früheren Fall ein

völlig entnervter Telefonkunde – die Anrufernummer wurde

zwangsabgeschaltet. Dagegen haben die Unternehmen in ihrem

Branchenkodex eine Höchstgrenze eingeführt: Pro Kampagne darf

dieselbe «Zielperson» nicht mehr als drei Mal täglich und 15 Mal pro

Woche angerufen werden.

Fotocredits: Fredrik von Erichsen
(dpa)

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