Warum viele Anleger die Börse meiden

Mannheim – Was ist riskanter: Lotto spielen oder in Aktien investieren? Für die meisten wäre die Antwort vermutlich klar: in Aktien investieren. Denn die Kurse an den Börsen schwanken. Viele Anleger haben daher Angst, dass sie ihr investiertes Geld nicht zurückbekommen.

«Schlechte Ereignisse wie zum Beispiel der Zusammenbruch des Neuen Marktes sind in den Köpfen vieler Anleger hängen geblieben», erklärt Professor Martin Weber vom Institut für Investmentbanking an der Universität Mannheim.

Dabei liegt die Chance, beim Lotto den Jackpot zu knacken, bei etwa 1 zu 140 Millionen. Demgegenüber ist die Wahrscheinlichkeit, das eingesetzte Geld zu verlieren, sehr hoch. Dennoch kreuzen jede Woche viele Menschen ihre Glückzahlen an. «Beim Lottospielen sind wir eigentlich risikofreudig», sagt Prof. Weber.

Ganz anders bei Aktien: Trotz Mini-Zinsen meiden Anleger die Börse. Nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts (DAI) lag die Zahl der Aktionäre im Jahr 2016 mit knapp 8,98 Millionen sogar leicht unter dem Niveau von 2015. Nur jeder siebte Bundesbürger steckt damit derzeit direkt oder indirekt Geld in Aktien. Zu groß ist bei vielen offenbar die Furcht, Verluste zu erleiden. «Viele Leute schätzen das Risiko aber nicht richtig ein», sagt Prof. Weber.

Die Verlustgefahr ist bei Aktien eigentlich vergleichsweise überschaubar. «Es gibt an der Börse einen positiven Erwartungswert», sagt Prof. Weber. Das heißt: Im Schnitt kommt über einen längeren Zeitraum eine Rendite größer als Null heraus.

Das bestätigen Berechnungen des DAI: Allein beim Deutschen Aktienindex Dax konnten sich Anleger 2016 über eine Gesamtrendite von 6,9 Prozent freuen. Bei einem Anlagehorizont von 20 bis 30 Jahren lagen die jährlichen Renditen in der Vergangenheit zwischen 6 und 9 Prozent – trotz der zwischenzeitlichen Einbrüche.

Dennoch haben Privatanleger hierzulande nur wenig Vertrauen in den Aktienmarkt. «Die Börse ist für viele Menschen eher neutral bis negativ besetzt», sagt die Finanzpsychologin Monika Müller aus Wiesbaden. «Aber vor allem ist es etwas Fremdes. Es ist kein Alltagsgeschehen.» Die Folge: Das vorhandene Risiko bei Aktien nehmen Menschen anders wahr als beim bekannten und vertrauten Lotto.

Ein weiterer Unterschied: Lotto ist transparent. «Die Ziehung kann ich verfolgen und ganz genau nachvollziehen, wie das Ergebnis zustande kommt», erklärt Weber. Das schafft Vertrauen.

Verstärkt wird die Risikowahrnehmung beim Aktienhandel möglicherweise auch durch das Gefühl, keine Kontrolle über das Geschehen an der Börse zu haben. Prof. Weber vergleicht: «Ich finde Autofahren deswegen weniger riskant als fliegen, weil ich selber am Steuer sitze.» Dabei ist die Wahrscheinlichkeit eines Autounfalls größer als die Gefahr, ein Flugzeugunglück zu erleben.

Für Anleger kann es sich aus Sicht von Experten durchaus lohnen, ihre Angst zu überwinden. «Dass Sie am Ende wie beim Lotto Ihren Einsatz verlieren, ist am Aktienmarkt nicht zu erwarten», sagt Weber. Im Gegenteil: Je breiter und je länger man Geld am Aktienmarkt investiert, desto größer ist die Chance, Rendite zu erzielen.

So hat sich der Dax unter dem Strich seit Ende 1987, als er mit 1000 Indexpunkten startete, bis heute verzwölffacht. Wer damals umgerechnet 10 000 Euro einsetzte, könnte heute über gut 120 000 Euro verfügen, rechnet der Bundesverband deutscher Banken vor. Allerdings gilt auch: Der Rückblick bietet keine Gewähr für künftige Entwicklungen.

Wer sich dem Thema nähern will, sollte sich an vertraute Personen im Freundes- oder Familienkreis wenden. «Lassen Sie sich erklären, wie das Ganze funktioniert», sagt Müller. Wichtig dabei: «Fragen Sie nicht nach dem vermeintlich sicheren Tipp.» Den gebe es nicht. Müller empfiehlt: «Fragen Sie, was ihr Vorbild aus Fehlern gelernt hat.»

Literatur:

Stefanie Kühn, Markus Kühn: «Handbuch Geldanlage – Aktien, Fonds, Anleihen, Festgeld, Gold und Co.», Stiftung Warentest 2017, 416 Seiten, 34,90 Euro, ISBN: 978-3-86851-395-0.

Jeremy J. Siegel: «Aktien für die Ewigkeit», Finanzbuch Verlag 2016, 400 Seiten, 49,90 Euro, ISBN: 978-3-89879-978-2.

Fotocredits: Franziska Gabbert
(dpa/tmn)

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