60 Jahre Kartellamt: Kampf gegen überhöhte Preise

Bonn – Als Anfang 1958 das Bundeskartellamt in Berlin seine Arbeit aufnahm, hatten die Macher die Zwangskartelle des NS-Staats noch in frischer Erinnerung. Auch auf Druck der Besatzungsmächte ging es um die Entflechtung deutscher Industrie-Schlüsselbranchen wie Stahl, Zement und Papier.

Heute arbeitet das Bundeskartellamtes viel näher am Verbraucher – neuerdings mit einem Schwerpunkt auf Wettbewerbs- und Kundenschutz im Internet. 2018 feiert die Behörde ihr 60-jähriges Bestehen. Der offizielle Festakt ist für den 22. Februar in Bonn geplant.

Die Behörde hilft mit einer Transparenzstelle beim Benzin-Preisvergleich, nimmt Bier-, Zucker- und Kaffeepreise unter die Lupe, überprüft den Lebensmittelhandel, Milchpreise und die Fernwärmeversorgung und kämpft gegen Abzocke und Datenklau im Internet – wie zum Beispiel mit einer Untersuchung des sozialen Netzwerks Facebook.

Davon profitiert der Verbraucher ganz erheblich: Im Mittel führten illegale Kartellabsprachen zu um etwa 15 Prozent überhöhten Preisen, heißt es in einer Informationsbroschüre der Behörde. Allein zwischen 2009 und 2014 liege der Verbrauchernutzen bei mindestens 2,75 Milliarden Euro – etwa beim Hundertfachen des jährlichen Kartellamts-Etats.

Die Gründung der Behörde wäre wohl kaum ohne Ludwig Erhard (1897-1977), den legendären «Vater des deutschen Wirtschaftswunders» denkbar. Er setzte in jahrelangem politischen Kampf ein Gesetz gegen Kartelle und Absprachen durch – das «Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen» (GWB), Grundlage der Behördenarbeit bis heute. Damals opponierte die Industrie heftig, weil sie Absprachen in Einzelbranchen für unersetzlich hielt. Nach Schätzungen gab es in Deutschland 1930 noch mehr als 2000 Kartelle.

Heute hat sich in weiten Teilen der Welt die Auffassung durchgesetzt, dass Kartellabsprachen nicht nur den Kunden schaden, sondern auf Dauer auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beeinträchtigen können. 2001 wurde das weltweite Netzwerk von Wettbewerbsbehörden ICN gegründet, das heute rund 130 Mitgliedsländer umfasst, heißt es in einer Aufstellung des Kartellamtes. Auch wenn internationale Wettbewerbsfälle inzwischen oft in Brüssel behandelt werden, bleibe das Bundeskartellamt für den nationalen Markt weiter immens wichtig, sagt der Leiter des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie, Prof. Justus Haucap.

Ohne Kartellbehörden gäbe es deutlich weniger Konkurrenz in der Wirtschaft – und damit weniger Innovation, betont Kartellamtschef Andreas Mundt. Sein Lieblingsbeispiel dafür: Solange Microsoft mit seinem «Internet Explorer» praktisch alleine am Markt war, gab es für den Browser in fünf Jahren kein einziges Update. Als die Konkurrenz mit dem Mozilla Firefox angriff, änderte sich das sofort.

Die Behörde kann zum Schutz eines intakten Wettbewerbs scharf durchgreifen. Sie kann Firmenzusammenschlüsse komplett verbieten, in Verdachtsfällen mit weiten Befugnissen durchsuchen und ermitteln und bei Verstößen empfindliche Bußgelder verhängen. Seit der Einführung einer Kronzeugenregelung im Jahr 2000 hat sich die Kartellverfolgung noch verstärkt. Im Rekordjahr 2014 wurden mehr als eine Milliarde Euro Bußgelder verhängt – unter anderem gegen Brauereien, die Bier-Preiserhöhungen abgesprochen hatten. Die Verbraucher mussten dadurch pro Kasten einen Euro zu viel bezahlen.

Über 40 Jahre lang war Berlin der Sitz der Behörde, dann zog sie 1999 um nach Bonn. Das sieht die Behörde, die dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht, aber selbstständig arbeitet, auch als Ausdruck ihrer Unabhängigkeit. «Wir müssen nicht im politischen Berlin sein», heißt es aus dem Amt. Dass Bund und Kartellamt nicht immer einer Meinung sind, zeigte sich etwa bei dem behördlichen Verbot der Kaiser’s-Tengelmann-Übernahme durch Edeka im Frühjahr 2015, das der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) aber mit einer sogenannten Ministererlaubnis außer Kraft setzte.

Heute sieht die Behörde eine ihrer wichtigen Aufgaben bei der Hilfe für die Verbraucher, wenn sie sich im Internet bewegen – gegen Abzocke und Datenklau. Das zeigt sich etwa in dem Facebook-Verfahren oder auch bei einer aktuellen Sektoruntersuchung zu modernen Smart-TVs. Datenschützer beäugen die Fernseher misstrauisch, weil sie eine Vielzahl von Kundendaten erfassen.

Die Kartellwächter können neuerdings solche Untersuchungen ganzer Branchen einleiten, wenn es Hinweise auf die Benachteiligung von Verbrauchern gibt und vor Gericht mit ihrem Fachwissen Stellungnahmen abgeben. Die Bußgelder der Behörde schwanken von Jahr zu Jahr – nach dem Rekordwert von 2014 sind sie zuletzt wieder deutlich gesunken: 2016 waren es knapp 125 Millionen, 2017 rund 60 Millionen Euro Bußgeld gegen 16 Unternehmen und 11 Manager.

Ein neues «scharfes Schwert» droht Kartellsündern nach Mundts Worten von Anfang 2020 an: Dann werden gravierende Verstöße in ein Wettbewerbsregister eingetragen und die betroffenen Unternehmen für mehrere Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen – für Firmen mit vielen Staatsaufträgen eine einschneidende Sanktion.

Fotocredits: Henning Kaiser
(dpa)

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